Mit Kind im Restaurant

Ein ziemlich wilder Tanz

Kennen Sie das? Mit kleinen Kindern ins Restaurant zu gehen gleicht manchmal einem Tanz auf dem Vulkan. Prost Mahlzeit!

Autor: Petra Fleckenstein

Man gönnt sich ja sonst nichts

Baby isst chaos
Foto: © fotolia.com/Superingo

Werden Paare Eltern, stehen die Zeichen in mancher Hinsicht auf Verzicht. Statt nächtlicher Vergnügungs-Streifzüge durch die Clubs, heißt es um Mitternacht mit schreiendem Baby durch die Wohnung wandern. Zärtliche Stunden mit dem Geliebten machen Zoff ums Wickeln Platz und von langer Hand geplante Kinobesuche fallen flach, weil der Babysitter seinen Schnupfen pflegt. Aber eins können auch Eltern mit kleinen Kindern sich noch gönnen: Ein genüssliches Essen in einem guten Restaurant. Oder?

Entrée: Aufmarsch der Hauptdarsteller

Es scheint alles nach einer feststehenden Choreographie zu geschehen. Die Szenen gleichen sich wie zwei geklonte Mäuse, nur die Reihenfolge duldet einige Variationen. Als Kulisse denke man sich ein im Zeitgeist schwarz gestyltes Szene-Restaurant, denn auch Eltern wollen noch ein wenig angesagt sein. Es treten auf: Ein Paar, Anfang 30, zusammen mit der entzückenden Tochter im Alter von elf Monaten und einem knapp zweijährigen Knaben. An der Eingangstür verzögert sich der Einmarsch, da die Tür sich nicht so weit öffnen lässt, um den Baby-Jogger durch den Schlitz zu bugsieren. Schieben, drücken, Stühle rücken – der Tanz kann beginnen.

Modern Dance: Wo steht der Kinderstuhl (und gibt es derer zwei)?

Wo gerade noch Espressotassen klimperten und gedämpft über Kunst, das Eigenheim am Stadtrand oder das neueste Gucci-Parfum geplaudert wurde, erfüllt mit einem Mal barbarisches Gelärm die rauchgeschwängerte Luft. Die Kleine schreit. Und während Mutter Platz für den Kinderwagen schafft, sich ihres Mantels entledigt und dann schnell das brüllende Bündel an sich reißt, macht sich der Erzeuger flugs auf die Suche nach dem dezent versteckten Kinderstuhl. Gespräche verstummen, Augen blicken streng, "Limo" tönt es, davon ungerührt, lauthals aus dem Kindermund.

Slow Walz: Alles sitzt und man bestellt

Geschafft, Kinderbeine wurden zielgenau in die Hochstühle eingefädelt, das Lärmen ist verstummt, die Wickeltasche umständlich zwischen den Füßen verstaut, und das Publikum wendet sich wieder seinen Gesprächen zu. Gewählt ist schnell, nun heißt es einfach warten. Bewegungsfolge eins beginnt: Alle erreichbaren Gegenstände wie Aschenbecher, Blumenväschen und die Speisekarte aus handgeschöpftem Mailänder Papier aus der Reichweite vierer gieriger Kinderarme entfernen. Bewegungsablauf zwei: Stattdessen unverfängliche Materialien wie Pappbilderbücher und kleine Stofftiere aus der Wickeltasche kramen. Ruhe macht sich breit, Zeit für das Paar, um ein paar Takte von Mann zu Frau und umgekehrt zu plaudern.

Boogie Woogie: Was gibt es sonst zu tun?

Immerhin für fünf Minuten konnten Bilderbuch und Kuscheltier die Aufmerksamkeit der kleinen Gäste an sich binden. Betrachten, blättern, schmecken, riechen, runterwerfen... und immer wieder runterwerfen. Dann ist das Alte ausgereizt, und vier Kinderaugen tasten das Interieur nach neuen Reizen ab. Vielleicht am Ärmel des Schwesterchens zupfen, Mamas Ring vom Finger ziehen, das Traubensaftglas umstoßen, Papas Feuerzeug testen, die Tischkerze anbeißen? Der Variationen sind unendlich viele. Immerhin hält es die Kleinen noch auf ihren Stühlen. Das Essen lässt leider auf sich warten, und so drängt das junge Volk nun auf nach neuen Forschertaten. Raus aus dem Stuhl, auf dem Boden krabbeln (lebende Stolperschwellen für die Kellner), auf Papas Schoß sitzen, nach seinem Glas greifen, von da auf Mamas Schoß wechseln, wieder runter, den Baby-Jogger anschieben und allen den Weg verstellen. Ein unendlicher Reigen – doch, hurra, Erlösung naht!

Pas de Deux: Nudeln als Finger-Food

Das Essen ist da. Nun könnte der gemütliche Teil beginnen – allein, das Nesthäkchen weigert sich, auf seinen Platz zurückzukehren. Und welche Mutter verweigert ihrer Brut den Schoß? Start eines rasanten Pas de Deux: Mama führt die Gabel zum Mund, Töchterchen schnappt sie ihr weg, die Nudeln landen auf Mamas Rock, Tochter runter, in der Wickeltasche nach Tempos kramen, Tochter wieder hoch, nun will sie die Gabel selbst halten, die Nudeln landen auf ihrem Sweat-Shirt, wieder wischen, das Kind entledigt sich des Esswerkzeugs und benutzt die Hände, Tomatensauce-Finger greifen nach dem Limoglas, wischen, Tochter fängt an, saucige Nudeln in Mamas Mund zu stopfen, Tomatensauce läuft in ihren Ärmel, Hände wischen, dazwischen die Gelegenheit ergreifen und - von der Tochter unbemerkt - einen Happen zu sich nehmen. Sirenengleich lässt sich unterdessen der ältere Spross vernehmen, der auf Würstchen mit Pommes bestanden hatte: "Mama, ich will auch Nudeln ..."

Ausklang: Nur noch weg hier

Die Schlacht ist geschlagen, der Tisch bietet ein Bild wie nach einem Erdbeben der Stärke 6,5. Ruhe hat sich über die Gemüter der kindlichen Gourmets gelegt (nachdem Papa sich der Würstchen mit Pommes erbarmt und dafür dem Sohnemann seine Tagliatelle überlassen hat). Nur Mama fühlt sich irgendwie unterernährt. Naja, vielleicht klappt es beim nächsten Mal, ein wenig mehr vom eigenen Teller zu erhaschen. Jetzt heißt es nur noch Aufpacken und nichts wie weg hier. Denn irgendwer hat bei der Jüngsten wieder den Ton angedreht, lautes Wäähh schallt durch den Raum und sorgt dafür, dass von Neuem Gespräche verstummen und aller Augen in eine Richtung blicken. Okay, den gemütlichen Espresso schenken wir uns für diesmal und verlassen die Bühne, bevor am Ende gar ein Pfeif-Konzert und Buh-Rufe ertönen. Wäre es zu Hause vielleicht doch gemütlicher gewesen?

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