ADHS - Bitte um Tipps und Erfahrungsberichte

Hallo, liebes Forum!

Ich habe diesen Text gestern auch im Forum "Leben mit Handicap" gepostet, aber evtl passt er auch in dieses Forum hier:

Unser 6jähriger Sohn hat nun die Diagnose ADHS erhalten und wurde medikamentös auf Ritalin LA eingestellt, das er an Schultagen nimmt (er besucht die Vorschule). Am Montag beginnt er eine Ergotherapie.
Mein Mann und ich sind insofern dankbar für die Diagnose, als nun eine Erklärung für sein Verhalten haben und ihm auch gezielter geholfen werden kann. Er leidet massiv darunter, dass er keine Freunde findet und tut uns wahnsinnig leid. Er kann sehr empathisch sein, ist sehr interessiert und aufnahmefähig. Seine kleine Schwester vergöttert er. Auch sonst hat er sehr viele positive Seiten.
Gleichzeitig leiden wir selbst auch über den Verhaltensweisen, die das ADHS mitbringt. Unser Sohn beschäftigt sich kaum alleine und spielt nicht, sondern ist voll und ganz mit seinen rotierenden Gedanken befasst. Er ist häufig sehr impulsiv und zornig, was uns insbesondere abends sehr fordert. Seine Frustrationstoleranz ist leider kaum vorhanden. Laut Testung seiner Psychologin kann er sich nur sehr, sehr kurz konzentrieren (mit Medikamenten geht es).

Wir möchten ihn so gut wie möglich unterstützen - gleichzeitig brauche ich aber auch unbedingt ein bisschen Zuspruch.
Ich wollte daher fragen, ob jemand Tipps oder auch ein paar positive Erfahrungsberichte darüber, wie sich ein Kind mit ADHS durchs Leben navigiert, für mich hätte?

Vielen Dank und liebe Grüße

Bearbeitet von marzipanelefant
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2 meiner Kinder haben ADHS, sind mittlerweile erwachsen. Gerade mein Sohn litt lange sehr darunter, da er auch eine schwere LRS hat. Mit Medikamenten konnte er endlich halbwegs lesen.
Wichtig ist, dass er selbst viel über dieses "anders sein" weiß, und wie Medikamente ihn unterstützen. Mein Sohn könnte sich dann zwar besser fokussieren, musste aber lernen, sich auf das "Richtige" zu fokussieren (in der Schule auf die Lehrerin und nicht auf die Fliege am Fenster)
Wie Eltern mussten lernen, ihn über mehrere "Kanäle" gleichzeitig anzusprechen (auf Augenhöhe, ansehen, anfassen, ansprechen)
Uns war auch sehr wichtig, seine Begabungen und besonderen Fähigkeiten zu fördern, damit er Erfolgserlebnisse hat.

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Ich habe zwei, inzwischen erwachsene Kinder mit ADHS. Medizin ist schon mal gut. Dass er sich kaum allein beschäftigt - das hatte ich bei meinem Ältesten auch. Er war immer im Mittelpunkt, alles kreiste um ihn, und meine Ehe hat das damals auch nicht ausgehalten. Aber da gab es noch andere Probleme. Habt ihr noch mehr Kinder?

Niedrige Frustrationstoleranz - ist halt so bei ADHS-lern. Das wird natürlich mit den Jahren besser.

Kann später mehr schreiben, muss jetzt los.

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Vielen Dank für die Antwort!
Wir haben noch zwei jüngere Kinder - einen dreijährigen Sohn und eine vier Monate alte Tochter.

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Ja, also. Wir haben auch zwei jüngere Kinder - inzwischen sind ja alle erwachsen. Und das ist nicht einfach. Irgendwann werden eure jüngeren Kinder vielleicht in einigen Dingen dem Ältesten voraus sein. Kann aber auch sein, dass sie sich dadurch näher sind. Aber es ist natürlich nicht so leicht für alle drei Zeit zu haben. Manchmal haben wir uns aufgeteilt - einer unternahm etwas mit dem ältesten ADHS-ler und der Andere mit den anderen Beiden. Solange wir noch zusammen waren.

Die Jüngste hat auch ADHS, kam aber besser zurecht, war in der Schule doch einigermassen angepasst, und man wollte ihr auch das erste Mal keine Diagnose geben. Sie bekam dann die Diagnose erst mit 16. Da hatte sie dann schon sekundäre Probleme, eine Essstörung. Für sie läuft es gut inzwischen. Sie hat Sozialarbeit studiert. Hat erst ein Jahr gearbeitet nach dem Studium. Inzwischen studiert sie noch etwas weiter, will ihren Master machen. Sie lebt mit ihrem Freund zusammen und hat einen Freundeskreis.

Mein ältester Sohn hat schwereres ADHS. Er hat die Ausbildung abgebrochen, jahrelang zu Hause herumgehangen, dann ein paar Kurse gemacht, aber es wurde nie eine richtige Ausbildung daraus. Er hat aber trotzdem Arbeit bekommen, Kundendienst, Callcenter. Jedenfalls arbeitet er schon seit Jahren dort. Das ist aber alles, was er schafft. In seiner Freizeit kommt da nichts wirklich zustande. Er hat einige, wenige Freunde, hatte aber schon seit vielen Jahren keine Beziehung mehr. Er hat sich nämlich massives Übergewicht zulegt. Leider. Und er ist nicht zu bewegen dagegen etwas zu tun. Aber ich will nicht zu negativ sein. Ich hoffe nur, dass er trotzdem irgendwie glücklich ist.

Wichtig ist ja eigentlich, dass man sein Kind so liebt, wie es ist. Manches wird sich nie ändern. Er wird mmer ein "Hypie" sein. Obwohl man generell in der Pubertät ins Gegenteil umschlägt. Aber nur äusserlich. Die Nervosität und innere Unruhe ist immer da. Und auch das Positive - die schnellen Geistesblitze, die originellen Ideen, die Wärme. Wichtig ist auch, dass man nicht zu hohe und auch nicht zu niedrige Anforderungen stellt. Das ist oft schwierig.

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Hallöchen #winke
Meine Große hat ihre Diagnose erst vor einem Jahr bekommen. Bei uns ist es zwar ADS aber im großen und ganzen ist es ähnlich. In der zweiten und dritten Klasse sind wir im Homeshooling fast die Wände hoch gegangen. Wir haben ihr etwas erklärt und sie schaut verträumt aus dem Fenster und beobachtet Vögel. Die Rechtschreibung war jenseits von gut und Böse. Als sie in die vierte Klasse kam ging der Präsenz Unterricht wieder richtig los und da wurde es richtig schlimm. Die Lehrerin rief mich an, dass sie fürchterlich weint weil sie einen Text von der Tafel abschreiben sollte, eine 6 bekommen hat und die anderen Schüler sie auch noch auslachen. Wir hatten dann ein persönliches Gespräch und sie meinte, sie macht sich große Sorgen um meine Tochter. Vom Allgemeinwissen und Wortschatz ist sie unglaublich weit und intelligent. In Arbeiten schrieb sie aber durchweg schlechte Noten. Sie zog sich auch immer mehr zurück von den anderen Kindern. Der Verdacht von Depressionen stand im Raum und wir sind direkt zum Kinderpsychologen. Da gab es mehrere Tests und Gespräche. Am Ende stand die Diagnose ADS. Für mich war das irgendwie ein Alptraum. Hab früher immer gedacht, dass es die Krankheit gar nicht gibt sondern Eltern ihre Kinder einfach nicht vernünftig fördern ( War wirklich sehr dumm von mir!) Sie hat mir aber zum ersten Mal richtig erklärt, dass es im Endeffekt "nur" eine Stoffwechselstörung ist. Sie wurde dann auf Dopamin eingestellt und bekommt morgens an Schultagen 20mg Medikinet. Unglaublich der Unterschied! Sie ist jetzt in der fünften Klasse und hat Zweien und Dreien mit einzelnen Ausreißern nach oben oder unten,was aber völlig in Ordnung ist. Das wichtigste ist, sie geht wieder gerne in die Schule und nimmt vernünftig am Unterricht teil. Sie hat sich auch super in der Klasse integriert und ist sogar Klassensprecherin. Sie wirkt ausgeglichener und fröhlicher... Ein wahnsinns Unterschied! Und ihre Rechtschreibung ist ein Traum #freu leserlich und fehlerfrei. Allerdings sieht man genau wenn sie keine Tablette genommen hat, da sieht es wieder furchtbar aus #rofl Auch unser Familienleben ist wieder harmonischer.

Ich freue mich, dass es bei Euch so früh festgestellt wurde! Ihr werdet bestimmt auch schnell eine Besserung feststellen.
Liebe Grüße und alles Gute!#klee

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Vielen herzlichen Dank für die netten Antworten! Darf ich euch noch fragen, ob eure Kinder Freundschaften haben? Unser Sohn leidet sehr darunter, dass er keine Freunde hat.

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Das hab ich ganz vergessen zu schreiben :-) Vorher hatte unsere Große eine gute Freundin, die ein Jahr jünger ist als sie. Mittlerweile mussten wir schon drauf bestehen, dass sie wenigstens an zwei Tagen die Woche wenn sie reiten und Feuerwehr hat, in Ruhe gelassen wird #rofl Mit den Mädels aus der vierten die mit auf ihre weiterführende Schule gewechselt sind versteht sie sich mittlerweile richtig gut. Hat letzte Nacht sogar bei einer übernachtet was vor einem Jahr noch undenkbar gewesen wäre. Im Sommer hab ich sie ins Schwimmbad gebracht und als ich zwei Stunden später mit meinem Mann und ihrer Schwester nachkam, zog sie dort mit einem Jungen durch die Gegend, den sie gerade erst kennen gelernt hatte als wären es alte Freunde.

Das Euer Sohn darunter leidet kann ich mir gut vorstellen. Aber das wird bestimmt ganz schnell gehen, dass er Freunde findet. Er hat ja viele tolle Charakterzüge und wenn das ADHS diese nicht mehr übertönt wird er sehr schnell sehr beliebt werden! War bei uns ganz genauso. Die anderen Kinder haben die Veränderung sofort gemerkt und auch die Betreuer im Hort, die nichts von der Therapie wussten, haben mich angesprochen dass sie total verblüfft sind wie sich meine Tochter so plötzlich zum positiven verändert hat #herzlich Die Kinder merken sicher auch, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmt und etwas von ihnen erwartet wird, was sie nicht erfüllen können. Dafür können sie ja nichts, ziehen sich aber bestimmt instinktiv auch mehr in sich zurück. Und sobald ihnen Dinge wieder leichter fallen die vorher unlösbar schienen, bekommen sie sofort mehr Selbstvertrauen, strahlen das aus, gehen offener auf andere zu und ziehen andere Kinder auch mehr an #pro

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Warum nimmt er es nur an Schultagen?

Belies Dich bitte mal ausführlich zum Thema, ich kann da zb das Buch "Eichhörnchen, das" Empfehlen, die schreibt das sehr unterhaltsam und man bekommt einen Einblick in das Leben eines ADHSlers.

Unser Sohn nimmt Elvanse und wenn er sie am Wochenende mal nicht genommen hat ist er von diesem Tag so überlastet und überanstrengt dass es auch an den nächsten 1, 2 Schultagen nachhallt!

Ist das Eure Entscheidung dass er sie nicht jeden Tag nimmt?

Also, wichtig finde ich bei ADHS dass die Kinder Strategien brauchen.
Es ist eine Botenstoffstörung und man muss als Betroffener lernen durch Verhaltensstrategien die Botenstoffe gezielt zu triggern. Also durch Systeme wie Todolisten wo man sich Dinge wegstreichen kann damit man den Erfolg visualisieren kann, Belohnungssysteme wie man schaut diszipliniert erst dann Fernsehen wenn gespült ist, etc. Das muss jeder Betroffene selber herausfinden was für ihn wirkt. ADHS heißt auch Verhaltensveränderungen brauchen fast 20 mal länger bis man sie verinnerlicht halt als bei neurologisch gesunden Menschen.
Unter der Wirkung von den Medikamenten kann man sich besser konzentieren, die Filterstörung (für einen ADHSler ist alles gleich laut, gleich intensiv, gleich wichtig) ist geringer ausgeprägt. Unser Sohn kann mit 8 genau sagen wieviel Minuten nach Einnahme "es ruhiger" in ihm wird und wann es wieder unruhiger wird. Er ist generell auch wenn das Medikament nicht wirkt viel ausgeglichener weil er einfach nicht so angestrengt ist während der Wirkung. Und es ist alles anstrengend, auch der Strassenlärm beim Spazierengehen, der Geräuschpegel beim Spielen mit anderen etc. Also ihr seht nur dass das Medikament wirken soll wenn er "Außenwirkung" hat bzw es für Euch einleuchtend ist dass er sich konzentieren kann. Lernt bitte mehr darauf wie ADHSler es empfinden. Es fällt meist leichter neue Verhalten zu erlernen wenn die Störfaktoren weg sind sprich das Medi wirkt. Wenn man sie dann mit Medi abrufen kann, kann man versuchen es auch ohne zu schaffen.

Ich sag mal provokativ: Er hat je nach Ausprägung besser Chancen je mehr ihr Euch in das Thema einlest, je mehr es für Euch nicht nur mit dem "er nimtmt jetzt Medis wenn er in die Schule" getan ist und je mehr ihr wisst wie ein ADHS-Gehirn arbeitet und wie man damit umgehen kann. Welche Wege es gibt. Vielleicht auch selber mal einen Fragebogen ausfüllen, oft sind Eltern auch betroffen und nur angepasst genug damit es nicht mehr auffällt. Je mehr man wenn man selber ADHS hat als Eltern richtige Strategien entwickelt umso mehr kann man seinem Kind Vorbild sein. Bei mir ist es Prokrastination im Haushalt, ich sollte jetzt auch Bäder putzen, bin gerade ein schlechtes Beispiel ...

Ich kenne viele sehr erfolgreiche Menschen die ADHS haben. Sie sind nicht erfolgreich trotz ADHS sondern eher genau Wegen ADHS. Es hat auch viele gute Seiten die man lernen muss auszuntzen. Auch da ist es wichtig dass ihr Eltern viel lernt, geht auf Seminare, lest Bücher, lasst Euch beraten von der Psychiaterin.

Alles Gute Euch!

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Vielen Dank für die ausführliche Antwort! Hab grad nur ganz kurz Zeit zum Zurückschreiben - uns wurde seitens der Ärzte gesagt, er dürfe das Ritalin nur für die Schule nehmen und an allen anderen Tagen nicht, weil es sonst zu Wachstumsstörungen kommen könne

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Hallo

ich kann verstehen das du erstmal froh bist eine Diagnose zu haben aber auch verunsichert wie es weitergehen wird. Mein Sohn hat auch mit 6 Jahren die Diagnose erhalten. Mittlerweile ist er 11 Jahre. Es wäre gelogen wenn ich dir sage, dass es leicht ist. Es ist ein auf und ab. Wir haben ihn eine Jahr später einschulen lassen weil er einfach überfordert gewesen wäre. Er kam somit mit 7 Jahren in die Schule und ist im September in die weiterführende Schule gewechselt. Wir hatten es tatsächlich ein halbes Jahr in der ersten Klasse ohne Medikamente durchgezogen, ABER es war wirklich nicht schön ständig angerufen zu werden das er den Unterricht gestört hat und und. In der Klasse hatte er keine Freunde und auch so hat er nur ein zwei gute Bekannte mit denen er sich ab und an trifft. Leider sind Freundschaften schwierig. Es war so schlimm das er in der 4 Klasse gemobbt wurde und kaum mehr zur Schule wollte.
Es ist gut das ihr euch Gedanken wg den Medikamenten gemacht habt. Es wird immer wieder mal zu anpassungen kommen. Wir haben auch mittlerweile gewechselt weil unser Sohn das andere Medikament nicht gut vertragen hat. Es kann unter der Medikamenteneinnahme zu Appetitlosigkeit kommen. Daher erst frühstücken und dann Medikament. Warmes essen gibt es mittlerweile bei uns abends weil Junior mittags kaum Appetit hat.
Ergotherapie ist auch gut. Vielleicht habt ihr die Möglichkeit auch zu einer Reittherapie. Das hilft hier ganz gut.
Außerdem haben wir Eltern auch ein Coaching gemacht das über 5-6 Wochen einmal wöchentlich war.
Auch sehr gut ist eine Reha für das ADHS Kind, d.h du oder dein Mann wären die Begleitperson und dein Sohn bekommt Anwendungen. Das hat mir wahnsinnig viel gebracht und wir gehen auch in diesem Jahr wieder zur Reha.

Oft genug fühlt man sich als Eltern eines ADHS Kindes ausgegrenzt und nur Menschen die sich damit auskennen und das selber Tag für Tag erleben können das verstehen. Falls du noch fragen hast kannst du mich gerne anschreiben.

Viel Glück und immer gute Nerven :-)
Hexe12-17

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Das mit der Reha klingt sehr gut! Da muss ich mich genauer informieren

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Und zu den Freundschaften.... ASHSler vertragen sich meist besser mit Kindern die selber nicht neurotypisch sind. Weil sie eben ähnlich ticken und ähnlich empfinden

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Ja, das klingt absolut nachvollziehbar

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Ja das kann ich nur bestätigen. Wir haben zwar keine Diagnose, aber die 2 Jungs die sich mit meinem verstehen, sind sehr ähnlich.
Und da weiß ich noch nicht wie ich das finden soll? Gut für sie, dass sie jemanden haben zum spielen, raufen ect.... Aber auf der anderen Seite pushen die sich natürlich extrem in ihrem Verhalten. Wenn ich 2 solcher Räuber hier Zuhause habe bin ich gefühlt nur am ermahnen, schimpfen ect. Und zum Ende hin wird sich meist gekloppt und alle sind frustriert. Kennt das jemand?
Wie seht ihr das: lieber Freunde die einem nicht ganz so gut tun und noch mehr Triggern oder lieber keine und einsam sein?

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