Wie schützt ihr eure Kinder vor Übergriffen?

Gleich eine Entwarnung - es ist nichts vorgefallen! Ich habe an sich keinen Grund irgendjemandem aus unserem Umfeld nicht zu trauen. Das Thema ist für mich persönlich aber sehr heikel, da ich mit 6 Jahren leider die Erfahrung machen müsste…

Meine Tochter wird bald drei und ich finde es in dem Alter wichtig ihr zu Erklären was normal ist und was nicht. Ich möchte ihr aber auch keine Angst machen, bzw. meine Ängste auf sie nicht übertragen.

Wir hatten vor ca. einem halben Jahr ein einziges Mal und auch sehr spielerisch und vorsichtig drüber gesprochen, unter anderem über Windelnwechseln. Einige Zeit später durfte niemand anderes mehr wickeln außer ich, Papa nur wenn ich nicht da bin. In der Kita akzeptiert sie ihre beide Erzieherinnen, aber weh da kommt jemand zum Vertreten und will die Windel wechseln. Ich find‘s einerseits beruhigend, dass sie sich lautstark verteidigen kann, wenn sie nicht angefasst werden möchte. Aber gerade in der Kita ist dass echt doof und macht den Erziehern das Leben schwer… mit 3 kommt sie in eine neue Gruppe, wie soll es da denn funktionieren?

Sorry für den langen Text. Die eigentliche Frage ist, wie erkläre ich ihr das Thema so, dass sie es versteht aber ohne ihr Angst zu machen? Hat da jemand Tipps?

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Der wichtigste Schutz ist aus meiner Sicht, dass die Kinder generell wissen, dass sie zu jeglichen Situationen und erst recht Berührungen Nein sagen dürfen. Das Kind will keinen Abschiedskuss? Will heute nicht angefasst werden? Alles völlig okay. Am besten auch explizit sagen, dass das okay ist. "Stopp das mag ich nicht" gehört zum Alltag, wird zu Hause und in der Kita geübt und gegenüber Kindern und Erwachsenen regelmäßig angewandt. Auch sonst werden sie nicht zu Handlungen gezwungen, die nicht dringend nötig sind, wenn sie das absolut nicht wollen (z.B. Besuch begrüßen). Also generell die Botschaft "du musst nichts mitmachen, was dir unangenehm ist, nur weil Erwachsene es sich wünschen".

Dann natürlich noch den Punkt, dass es hilft, Handlungen und Körperteile beim Namen nennen zu können. Penis und Vulva waren bei meinen Kindern noch vor dem zweiten Geburtstag im Wortschatz bei den ersten 50 Wörtern mit dabei, genauso wie Hand, Nase, Bauch, Po etc.

Wenn es dir besonders wichtig ist, würde ich deshalb nicht unbedingt explizit über die Kita oder das Wickeln, sondern generell mit dem Kind darüber sprechen, dass außer in Gefahrensituationen NIEMAND es überhaupt IRGENDWO am Körper berühren darf, wenn es das nicht möchte. Falls es trotzdem vorkommt, sollte man die Person darauf hinweisen. Und wenn da jemand nicht drauf hört, soll das Kind dir Bescheid sagen und ihr findet gemeinsam eine Lösung.

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Finde ich auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite denke ich, dass es da bei mir als Kind zu vielen Missverständnissen gekommen wäre. Jemand möchte mir auf einen Hocker helfen? Ist der vielleicht böse?
Der Trainer oder die Trainerin im Turnen möchte mir Hilfestellung geben? Fasst mich deshalb am Rücken, an der Schulter, am Arm an? Die/ der darf mich doch gar nicht anfassen, Hilfe?! Jemand schlägt mir freundschaftlich auf den Rücken oder will mich abklatschen? Hat der Hintergedanken?

Ich finde diese Formulierung "es darf dich keiner IRGENDWO anfassen" ziemlich missverständlich und die könnte mMn auch zu Misstrauen in ganz harmlosen Situationen führen, oder nicht?

"Anfassen" könnte ja z.B. auch Hilfestellung beim Schuhe- oder Jackeanziehen sein und das wird dann immer verweigert und derjenige, der helfen möchte, wird immer irritierter, bis es dann zu Problemen kommt ("Kind verweigert das Anziehen").
Genauso ggf. beim Frisörbesuch oder, falls nötig, bei der Physiotherapie.
Beim Arzt. Usw.

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Mein Satz war als Sichtweise für die Eltern und nicht als konkrete Formulierung gegenüber dem Kind gemeint. Es ging darum den Fokus nicht so auf den Windelbereich, sondern auf das Thema "mein (ganzer) Körper gehört mir" zu richten. Und der zweite Satzteil "wenn es das nicht möchte" darf nicht vergessen werden. Der ist sehr wichtig.
Denn genau weil ja Berührungen im Alltag sehr oft stattfinden, wird das Kind gar nicht auf die Idee kommen, jegliche Berührung abzulehnen. Die sind ja auch ständig vorhanden und völlig normal. Es weiß dann eben "es ist mein Körper, also darf ich jederzeit Nein sagen". Erst der Fokus ("nicht im Windelbereich", oder auch "nicht schuppsen") führt meiner Meinung nach dazu, dass das Kind mit einer gewissen Paranoia (überspitzt formuliert) auf genau diesen Körperbereich und genau diese Handlung achtet und sich total aufregt, wenn sich etwas nach schuppsen anfühlt, anstatt auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen und selbst zu beurteilen, was okay ist und was nicht. Meine älteres Kind bleibt seit Jahren völlig entspannt, wenn er angerempelt wird, kann aber Grenzen setzen, wenn jemand sich bedrohlich nah vor ihn stellt. Was okay ist und was nicht, entscheidet er selbst und ich finde eigentlich, dass Kinder da ein gutes Gespür haben.
Ja vielleicht verweigert dann ein Kleinkind mal Hilfe beim Anziehen oder den Friseurbesuch, finde ich völlig okay. Den Friseurbesuch kann man sein lassen. Wenn sich das Kind in der Kita nicht anziehen lässt, kann man das mit einem 3-Jährigen besprechen. Will es nicht rausgehen? Oder geht's nur ums selber machen?

Die Ausnahmen (Gefahrensituation, gesundheitlich notwendige Untersuchungen und Behandlungen) sollte man natürlich tatsächlich von Anfang an besprechen. Denn das sind ja erstmal die einzigen Situationen, in denen es wirklich wichtig ist, das eigene Gefühl zurückzustellen und die Experten machen zu lassen.

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Ich werde meine Tochter(3) früh genug aufklären und sie darf bis zu einem gewissen Alter nirgendwo alleine hingehen. Natürlich Sicherheit und Vertrauen aufbauen, zu Selbstverteidigungskursen schicken. Nur ganz Vertraute Personen aufpassen lassen. Aber zu hundert Prozent sicher ist man leider nie. Darf ich fragen, wer in deinem Fall der Täter war? Du musst es nicht sagen, wenn du nicht willst.

Lg

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Aber bis zu welchem Alter würdest du sie nirgendswo alleine hingehen lassen?

Und was bedeutet das? Darf sie auch nicht alleine zb zu den Großeltern ?

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Bis 10 nicht alleine auf den Spielplatz, alleine bei den Großeltern ist kein Problem. Sie soll auch nicht alleine zur Volksschule gehen. Ab Gymnasium/Mittelschule eventuell alleine Schulweg.

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Es gibt auch Vorlesebücher zum Thema.

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Kannst du bitte eine Empfehlung geben?

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Für mich ist das beste Buch dieses hier. Es thematisiert alles, von Verwandten die einen ein Bussi geben wollen bis hin zu fremden auf dem Spielplatz, die ein Kind kidnappen wollen.

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Wir fingen damit an, die korrekten Begriffe für die Geschlechtsteile zu verwenden. Gewickelt wurde und wird hier nie vor anderen und nur von uns Eltern. Von Anfang an, schon als Baby, wurden körperliche Grenzen akzeptiert und vor anderen durchgesetzt. D.h. möchte das Kind keine Nähe, Umarmung etc. Ist das zu akzeptieren. Unsere Kinder lernen: Mein Körper gehört nur mir und ich entscheide, was damit passiert. Mit Wechsel in die Ü3-Gruppe und Nutzung der Toilette wurde dann auch teilweise vorkommende Doktorspiele thematisiert und was ok ist und was nicht.
Mit 4 lasen wir "Finnis Geheimnis". Da geht es um Missbrauch im Bekanntenkreis, kindgerecht und sehr gut erzählt. Generell darum, dass man schlechte Geheimnisse immer erzählen soll.
Mit 4,5 kam dann "Mein erstes Aufklärungsbuch" dazu, weil entsprechende Fragen kamen. Wir orientieren uns da auch stark am Kind und was es wissen will und teilweise auch wissen muss.
Wir sehen selbst und bekommen auch das Feedback von Freunden und aus der Kita, dass unser Sohn sehr selbstsicher ist und seine körperlichen Grenzen sehr eng und deutlich ansteckt. Ich hoffe, unsere Tochter wird auch so selbstbewusst sein.

Bearbeitet von aprilmama19
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Wie habt ihr das denn mit Wickeln in der Kita gelöst oder wenn das Kind mal länger bei den Großeltern ist? Bei uns passen in den Ferien Großeltern vormittags auf. Opa dürfe beim letzten Mal die Windel nicht wechseln, sie hatte lieber den ganzen Vormittag eine volle Windel und hat gewartet bis ich von der Arbeit komme..

Das mit dem Buch ist ein toller Tipp, gleich bestellt, danke!

Bearbeitet von Ellicat
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Wickeln in der Kita war ein langer Prozess. Da er erstmal nur 4 Stunden ging, musste Pipi nicht unbedingt gewechselt werden. Anfangs ließ er sich nicht wickeln und bei Stuhlgang mussten sie uns rufen. Kam zum Glück selten vor. Mit der Zeit vertraute er zwei Erzieherinnen und sie durften dann.
Die Großeltern wohnen 200 km entfernt und mussten daher noch nie wickeln.

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Wir haben damit angefangen, dass wir immer fragen, ob wir ein Kussi bekommen oder wollen wir kuscheln. Wenn das Kind nein sagt, dann wird das natürlich akzeptiert. Oder auch beim Begrüßen, wenn es keine Umarmung möchte, dann ist das so und völlig ok.
Das Kind lernt, was es möchte und nicht.

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Denkt bei den ganzen Dingen die ihr euren Kindern verbieten wollt daran, dass die meisten Übergriffe von Verwandten und Bekannten passieren. Nicht auf dem Schulweg oder auf der Straße.

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Genau das bereitet mir auch Sorgen. Meine Tochter ist misstrauisch wenn ihr Fremde zu nahe kommen. Bei den Menschen die sie kennt und mag, blüht sie auf und ich denke sie würde da ohne Fragen mit der Person in einen Nebenraum gehen… wie bereitet man das Kind auf solche Situationen vor ohne ihr Gefühl zu geben niemandem trauen zu können? Das wäre ja keine gute Grundlage für das Erwachsenenleben.

Bearbeitet von Ellicat
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Ich kann dir das Buch empfehlen. Haben wir seit fast zwei Jahren. Sie ziehen es immer wieder aus dem Bücherregal. Absolut kindgerecht und schön illustriert.

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Den Kindern wird vermittelt, dass sie entscheiden dürfen, wer sie anfasst, auf den Arm nimmt etc. und die Begriffe Penis und Vulva kennen sie auch.

Über ein Nein hinwegsetzen passiert mit Erklärung. Ein bockendes Kind, das auf dem Parkplatz abhauen möchte, wird sich auch beim 30. Nein unter den Arm geklemmt oder an die Hand genommen. Die Windel voll Stuhlgang muss gewechselt werden und Gesundheitsvorsorge muss auch sein. Wenn da gutes Zureden nicht hilft, setze ich mich als Erwachsene mit Erklärung über den Willen des Kindes hinweg, da es die Konsequenz seines „Nein“ noch nicht abschätzen kann.

Gleichzeitig sensibilisieren wird unsere Kinder auch dafür, welche Konsequenzen ihr eigenes Handeln hat. Ich selbst setze auch Grenzen. Ich will nicht ständig angefasst werden und kommuniziere meinen beiden älteren Kindern dies auch klipp und klar, wenn es mir zu viel wird. Wenn sie dem Baby ins Gesicht fassen und es daraufhin das Gesicht verzieht und sich abwendet, machen wir darauf aufmerksam. Wir fragen die Kinder, ob sie umarmt oder geküsst werden wollen, sie fragen, ehe sie auf den Schoß kommen. Das ist ein Weg, der für uns gut passt.

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Ich kann dir empfehlen "ich geh doch nicht mit jedem mit" und das Buch "mein Körper gehört mir".

Meine Kinder durfte früh alleine raus. Erst kurze Strecken zu Oma, später auf den Spielplatz. Seit sie etwa 6/7 sind dürfen sie ins Dorf, alleine zur Schule, etc.

Für Abholsituationen haben wir ein Code Wort vereinbart. Sollte ich also mal jemanden schicken, weil ich selbst verhindert bin, konnte derjenige sie abholen.

Ich habe sie früh sensibilisiert, aber versucht keine Angst zu machen.

Letztes Jahr wurde meine Tochter (mittlerweile 12 Jahre alt) von einem Mann angesprochen. Er wollte, dass sie ihn anfasst. Sie hat richtig reagiert, ist sofort mit dem Fahrrad weggefahren, hat mir bescheid gesagt und wir haben die Polizei gerufen.

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Ein schwieriges Thema, das mich auch noch lange beschäftigen wird (meine Töchter sind noch nicht in der Kita, aber ich habe im Leben so manche schlechte Erfahrung gemacht).

Was ich selbst viel zu spät gelernt habe war:
man darf NEIN sagen, selbst wenn...
- man sich selbst in die Situation gebracht hat
- man anfangs noch zugestimmt hat
- die andere Person sonst immer nett war oder einem einen Gefallen getan hat
- die andere Person es "nicht so meint" oder "nur Spaß macht

Ein immer größerer Faktor neben vermeintlichen Vertrauenspersonen und Fremden auf der Straße ist ja auch das Internet. Schon vor 15 Jahren hatte ich online Perverse Nachrichten und Drohungen bekommen von jemandem, der am Ende sogar meine Adresse und Telefonnummer herausfand. Damals hatte ich mich niemandem anvertraut, ich hatte Angst, selbst schuld zu sein, den Laptop gestrichen zu bekommen etc. Und das war noch zu Zeiten, als Social Media noch eher unbedeutend war und es keine Smartphones in Schulen gab.

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Da hast du absolut Recht! Wie sollen wir (ohne Handy & Social Media aufgewachsen) in ein paar Jahren unseren Kindern erklären wie die digitale Welt funktioniert? Wir wissen nicht mal wie der Stand der Dinge in ein paar Jahren sein wird…