Partner mit ADS - Vorsicht, lang!

Ich muss mir einfach mal von der Seele schreiben, was mich gerade in meiner Ehe belastet. Im echten Leben kann ich mit niemandem darüber reden und ich erhoffe mir einen Blick von außen, da ich glaube ich selber nicht mehr objektiv urteilen kann.
Wir sind Anfang bzw. Mitte dreißig.
Seit 10 Jahren sind wir nun zusammen und seit fast 4 Jahren verheiratet. Wir haben schon länger unsere Problemchen, aber in den letzten Jahren wird es zunehmend belastend.

Vor 2 Jahren wurde bei ihm ADS festgestellt und seitdem auch mit Tabletten behandelt. Wirklich geändert hat sich dadurch aber nichts.

Seit etwa 4 Jahren hat er keinen bezahlten Job mehr. Er hatte früher eine normale, gut bezahlte Arbeit, ist dann nochmal zurück an die Uni um sich weiterzubilden. Seitdem arbeitet er nicht mehr und lebt im wesentlichen von seinen Ersparnissen, die aufgrund seines ersten Jobs der wirklich gut bezahlt war und unserem sparsamen Lebensstil noch ein paar Jahre reichen werden.
Was mich daran stört ist gar nicht dass er nix verdient, sondern dass er -denke ich- nicht glücklich mit der Situation ist.
Er hat keine Tagesstruktur, lebt in den Tag hinein, liegt nur auf dem Sofa und surft im Internet rum. Er hat keine Motivation für irgendetwas, übernimmt im Haushalt sogut wie keine Aufgaben und ist eben aber auch selber nicht glücklich damit.
Er verbringt sehr viel Zeit damit zu den Tabletten zu recherchieren und sich irgendwie weiter selbst zu behandeln (z.B. durch extrem hohen Energydrink-Konsum, CBD-Öl…)
Zu gemeinsamen Unternehmungen hat er fast nie Lust (findet es aber dann doch immer schön wenn ich ihn doch überreden kann).
Ich habe einen Vollzeitjob und bin oft einfach nur gefrustet wenn nach einem langen Arbeitstag Dinge wie Haushalt, Einkaufen und so weiter auch noch an mir hängen bleiben. Für mich ist auch mental load ein Riesen Thema.
Beispiel Essen: ich hätte gerne, dass er einfach ab und an (muss ja nicht jeden Tag sein) einfach mal selbstständig ein Abendessen macht, sodass wir gemeinsam essen können wenn ich vom arbeiten heim komme. Er kann sich nie entscheiden was es zu essen geben soll. Wenn ich mir was überlege und alles genau mit Mengenangaben auf die Einkaufsliste schreibe, kauft er es schon ein und kocht auch, aber das Geschirr stellt er nie in die Spülmaschine sondern einfach nur neben die Spüle. Er kann es einfach nicht einräumen. Wenn ich es nicht wegräume, bleibt es da wochenlang (hab ich schon ausprobiert).
So bleibt letztendlich die mentale Belastung doch bei mir hängen. Versteht ihr was ich meine? Er versteht meinen Unmut nicht (“Ich habe doch gekocht!”)

Ich verstehe dass sehr viel davon mit seiner schlecht behandelten Krankheit zusammenhängt.
Er KANN einfach das Geschirr nicht wegräumen und sieht es einfach tatsächlich nicht, wenn die Wohnung immer dreckiger wird.
Dabei würde ich mal behaupten dass ich absolut keine überzogenen Sauberkeitsansprüche habe, bin selbst eher unordentlich.

Er weiß dass er über kurz oder lang einen Job braucht, aber er denkt dass er im normalen Arbeitsalltag nicht klarkommt oder glücklich wird. Er ist tatsächlich auf seinem Gebiet sehr qualifiziert und hat aber auch hohe Ansprüche. Er hat aber aktuell keine Kraft, sich um einen Job zu bemühen (es gibt ja auch Teilzeitjobs, er könnte sich aber auch selbstständig machen oder eine Mischung daraus).
Ihn belastet auch die schlecht laufende Beziehung mit mir. Wobei er sich vor allem emotional und körperlich vernachlässigt fühlt. Er hat damit auch recht, nach jahrelangem Verständnis rutscht mir auch mal ein schnippischer Kommentar raus, und das trifft ihn immer sehr.
Ich bin oft unbedacht in dem was ich sage oder tue (meine es aber selten böse), aber er sagt es mir nicht wenn er sich dadurch angegriffen fühlt (er will dass ich es selber merke), schmollt dann aber manchmal tagelang. Er fühlt sich einfach nicht genug unterstützt und wertgeschätzt von mir.

Letztendlich ist es ein Teufelskreis: ich fühle mich von ihm in Sachen Haushalt und mental load allein gelassen, dann rutscht mir ein Kommentar raus der ihn unheimlich trifft und dadurch schmollt er. Enden tut es darin dass wir beide nicht glücklich miteinander sind und auch die körperliche Nähe hat darunter sehr gelitten, zu Zärtlichkeiten kommt es fast gar nicht mehr. Das ist vor allem ihm aber wichtig an unserer Beziehung. Aber ich kann das zur Zeit einfach nicht zulassen, weil sich einfach so viel bei mir anstaut manchmal, dass ich da regelrecht blockiert bin.

Ich glaube an unsere Beziehung und ich liebe ihn wirklich sehr. Er ist mein Fels in der Brandung, egal was für ein Trubel herrscht - er holt mich runter, ist ein toller Problemlöser und wir können uns stundenlang unterhalten. Wir sind eigentlich ein tolles Team und wenn wir Aufgaben zusammen angehen, funktionieren wir super gut zusammen. Wir haben auch die selben Vorstellungen davon, wie wir bspw unsere Kinder erziehen wollen oder was uns generell im Leben wichtig ist.
Kinder sind auch so ein Thema. Wir wünschen uns beide ein Kind. Er wäre meiner Meinung nach auch ein richtig guter Papa, er ist einfach auch so unglaublich geduldig, kreativ und witzig. Es wäre für ihn angesichts der Arbeitsproblematik auch vorstellbar ganz zuhause zu bleiben und ich arbeite weiter (wäre ich auch fein damit), allerdings plagen mich die Zweifel ob er das alles so hinbekommt (er romantisiert das meiner Meinung nach sehr, wie das Leben mit Kindern ist). Ich befürchte, dass ich nachher auch noch mit der Care-Arbeit alleine dastehe plus die gesamte finanzielle Verantwortung trage.

Das ist ein wirklich langer Text geworden und ich erhoffe mir einfach ein paar Meinungen von außen, vielleicht auch von selbst direkt oder indirekt ADS-Betroffenen.

7

Also...ich hab selbst ADS (diagnostiziert als ich 40 war) und zwei meiner Kinder haben es. Die sind inzwischen auch erwachsen. Vor allem mein Sohn hat wirklich schweres ADS, aber er arbeitet und kriegt auch das meiste hin, was den Haushalt angeht. Einige Male hab ich ihm helfen müssen - ausmisten. Und Freizeitgestaltung kann man vergessen. Da hat er keine Energie mehr für. Und das ist bei mir inzwischen ähnlich, aber halt erst seit ich älter werde.

Aber was du beschreibst ist nicht mit ADS zu entschuldigen. Er ruht sich wohl auf seiner Diagnose aus. Ich selbst hab auch immer die mentale Load gehabt, jedenfalls gut mehr als die Hälfte davon. Kochen und Enkaufen hat mein Ex-Mann zwar auch gemacht, aber weniger. Und was die Kinder anging, hab ich das meiste gemacht. Vor allem wie gesagt die Planung. Obwohl mir das besonders schwer fällt. Aber unmöglich ist es natürlich nicht. Das Risiko ist eher, dass man einen Burn-out bekommt, wenn es wirklich zu viel wird. Aber da besteht ja wirklich keine Gefahr bei deinem Mann.

Ich hab auch noch keinen ADS-ler gesehen, der das Geschirr nicht in die Spülmaschine stellen kann. Bei meinem Sohn war es so, dass er als Kind Probleme hatte mit Zimmer aufräumen, weil er nicht gesehen hat, was alles dazu gehört. Da ich ihm alles auf den Boden runtergezogen, da konnte er das aufräumen. Habt einen speziellen Platz für gebrauchtes Geschirr, am besten nahe an der Spülmaschine. Wenn du willst kannst du noch ein Schild da aufstellen - dann kann kein ADS-ler ein Problem damit haben Geschirr da hinein zu räumen. Ausser vielleicht, er weiss nicht, dass das seine Aufgabe ist.

Klare Regeln sind auch hilfreich. Bei uns kocht einer und der Andere spült. Man kann ja auch die Regel haben, dass man sein eigenes Geschirr so schnell wie möglich in die Maschine stellt (geht vielleicht nicht immer sofort). Männer haben sowieso nicht so viel Simultankapazität wie Frauen. Ich spüle z.B. schon wärend des Kochens das, was ich nicht mehr brauche. Mein Mann kann das nicht, sonst brennt ihm das Essen an. Unterschiede kann es also durchaus geben.

Aber SO würde ich keine Kinder bekommen. Dann stehst du mit aller Arbeit allein da.

1

Liebe Sorgenvolle,
meine Güte, bist du ein geduldiger und verständnisvoller Mensch..... Viele andere wären vermütlich längst geplatzt.
Ich habe selbst eine ADS-Problematik, nicht so massiv wie dein Partner, aber durchaus spürbar. Wie er tue ich mich schwer, was Strukturen und Ordnung angeht und übersehe auch oft Dinge ohne bösen Willen. So. ABER: es ist eine Zumutung, von seinem Partner zu verlangen die eigenen Defizite komplett (und am besten noch gut gelaunt und duldsam lächelnd) abzufangen. Ich musste sehr an mir arbeiten und Abläufe und Methoden entwickeln, damit meine Defizite nicht zu 100% zu Lasten meines Mannes gehen. Und das scheint bei euch der Fall zu sein. Inzwischen habe ich meinen Alltag so strukturiert, dass ich gut zurecht kommme, übernehme die Aufgaben verbindlich mithilfe von Listen, eigenen Belohnungssystemen (bei Kindern pädagogisch fragwürdig-bei mir funtionieren die ganz gut ;-) )und Ähnlichem. Mein Mann darf mir immer gerne sagen, wenn etwas anliegt, was ich übersehen habe und übernimmt auch aus anderen Krankheitsgründen (schwere Bandscheibenschäden) die Dinge, die ich nicht machen kann.
Es klingt vielleicht sehr hart, aber es liest sich so, als würde sich dein Partner hinter seiner Krankheit verstecken. Er war doch bereits berufstätig und hat eine abgeschlossene Ausbildung. Völlig strukturlos kann er also nicht sein. Meiner Meinung nach, müsste er zusätzlich zu seinen Medikamenten noch etwas wie eine spezielle Verhaltenstherapie, ein ADS-Coaching oder auch erstmal den Besuch einer Selbsthilfegruppe angehen. Wie gesagt: viel von dem was du über ihn schreibst, kommt mir bekannt vor.
Was das Kinderthema angeht, kann ich nur theoretisch mitreden, da ich selbst keine habe (bin aber Pädagogin mit 20 Jahren Berufserfahrung). Aber ich teile deine Befürchtung, dass dann noch mehr an dir hängen bleibt.
Wäre dein Partner aufgeschlossen, an sich zu arbeiten? Das wäre für mich die Grundvoraussetzung um die Kinderplanung überhaupt anzugehen.
Und noch etwas: aufgrund meiner Rückenprobleme war ich fast ein Jahr nicht arbeitsfähig. Und mir ist selten etwas so schwer gefallen, wie nach dieser Zeit wieder arbeiten zu gehen, weil sich das Zu-Hause-bleiben bei mir so eingeschliffen hatte, dass ich echt Angst vor einem Neustart (der auch mit einem Jobwechsel verbunden war) hatte.
Aber unterm Strich war es das beste, was ich hätte tun können, für meinen Selbstwert, meine Tagesstruktur und Ähnliches. Heute arbeite ich stundenreduziert (4-Tage-Woche) und komme damit gut zurecht.
Liebe TE, so viel erstmal zu meinen Erfahrungen, ich hoffe ihr findet für euch eine gute Lösung.

Alles Gute
Lexi

Bearbeitet von lexi77
3

Hey Lexi,
vielen Dank für deine verständnisvolle Antwort.
Ich glaube es ist tatsächlich so, dass er sich ein bisschen hinter seiner Krankheit versteckt, bzw. er sucht generell die Schuld eher im "außen", bzw er denkt, er kann selber eh nichts ändern.
Aktuell besteht denke ich von seiner Seite aus eher wenig Bereitschaft, sich zu ändern. Eine Verhaltenstherapie wurde ihm von seiner Psychiaterin auch schon vorgeschlagen, das möchte er aber nicht. Er verschweigt ihr auch wie schlecht es ihm geht, weil er Angst hat sie verschreibt ihm dann keine Medikamente mehr, und dann würde er gar nichts mehr hinbekommen.
Mit Regeln, z.B. Haushaltsplan kommt er gar nicht klar, das hatten wir schon probiert, und auch bei Druck macht er komplett zu.
Dabei ist es (geht vielleicht aus meinem Beitrag nicht hervor, da ich grade eher negativ gestimmt bin - sonst hätte ich hier ja auch gar nicht geschrieben) nicht so, dass er grundsätzlich nichts auf die Kette kriegt. Er hat ein anspruchsvolles Studium gemeistert ohne Verzögerungen und sein Job war auch anspruchsvoll, hier hat er auch nur gutes Feedback bekommen. Letztendlich kam er dort aber mit der hohen Arbeitsbelastung nicht klar. Wenn er sich ernsthaft etwas vornimmt, schafft er es in der Regel auch. Wenns drauf ankommt ist er schon sehr belastbar, fällt danach aber in ein wirklich langes "Loch".
Ich denke nun nach der langen Zeit zuhause hat er auch einfach totale Angst, wieder einem geregelten Job nachzugehen. Aber statt es zu probieren, sucht er sich immer andere "fadenscheinige" Projekte. Letztendlich läuft es auf lange schlafen und sehr viel Zeit auf dem Sofa raus.

Ich bin eh eher der überangepasste, konfliktscheue Typ und stecke einfach auch viel ein, weil mir das lieber ist als andere Leute zu enttäuschen.
Ich glaube aber, es führt einfach nichts an einem ernsthaften Gespräch vorbei.
Habe nur selber Bammel davor, das anzugehen. Dann müssten wir uns ja eingestehen, dass wir etwas ändern müssen, und das ist gar nicht mal so leicht.
Zumal ich mittlerweile selbst nicht mehr objektiv bin in der Hinsicht.

Bearbeitet von sorgenvoll-345
6

Liebe Flomo,
natürlich bist du nicht mehr objektiv, immerhin geht seine Verweigerung, an sich zu arbeiten (Ablehnung der Verhaltenstherapie z.B.) komplett auf deine Kosten. Ganz ehrlich- wenn er mit schmollen und Beleidigt-sein deinen Rückzug erreicht (und ich kenne als People-Pleaser sehr gut, was das mit einem macht), wo ist da die Motivation etwas zu ändern? Er hat sich in seiner Rolle ja scheinbar sehr bequem eingerichtet.
Was würde passieren, wenn du ihm ganz ernsthaft sagst:" Ich weiß, dass es dir nicht gut geht, aber ich schaffe es nicht mehr alleine unseren ganzen Alltag zu regeln. Und ich will es auch nicht mehr."?
Ich habe es immer gehasst, wenn meine Schwächen zu Lasten anderer gingen, besonders derer, die ich liebe. Das war für mich die größte Motivation an mir zu arbeiten. Weiß er, wie sehr du gerade durchhängst? Ist ihm der Ernst der Lage überhaupt bewusst?
Das ist eine ganz ungute Co-Abhängigkeit bei euch. Er kann überhaupt nur so agieren, weil er weiß, dass du den Laden am Laufen hälst. Was passiert, wenn du morgen vom Blitz getroffen wirst? Verhungert dein Mann dann? Trägt er seine Kleidung bis sie ihm vom Körper fällt und klebt am Küchenboden fest, weil nicht gewischt wird? Wenn nein ist sein Verhalten von ihm keine Frage mehr des Könnens, sondern des Wollens.
Für mich ist es keine Liebe, dabei zuzusehen, wie mein Partner in den Burn-out läuft. Ich befürchte, du musst dich gerade machen, und ganz klar sagen, dass es so nicht weitergeht. Und dann vermutlich für eine gewisse Zeit seinen Unmut aushalten. Ich persönlich würde auch nice-to-have-Dienstleistungen an deinen Mann streichen (Unterstützung ist was feines, ich würde sie aber so weit zurückschrauben wie du es aushälst).
Du kennst die Flugzeugmetapher? Wenn die Sauerstoffmasken im Notfall runterfallen, soll man zunächst die eigene aufsetzen, bevor man sich um andere kümmert. Und im Moment musst du dein Wohlergehen in den Fokus stellen. Du sollst deinen Mann nicht komplett hängenlassen. Aber mach es ihm etwas ungemütlicher.


Alles Gute,
Lexi

weiteren Kommentar laden
2

Also ganz ehrlich so wie das klingt fürchte ich auch, dass mit Kind euer Konstrukt endgültig zusammen bricht.

Kinder sind anstrengend sogar verdammt ansteckend. Schlaflose Nächte, Unordnung, Chaos, eigene Bedürfnisse zurück stellen. So ist das Leben erstmal mit kleinen Kindern das muss die Beziehung aushalten.

Wenn er es noch nicht mal schafft das Geschirr wegzuräumen wie soll das dann mit Kind werden? Dem Geschirr macht das nix aber ein Kind kann man nicht den ganzen Tag mit der vollen Windel raumlaufen lassen. Was hilft es dir wenn er daheim bleibt wenn du dich dann vielleicht nicht auf ihn verlassen kannst, dass er mit Kind alle Aufgaben schafft?

Gerade mit Kind daheim muss man sich strukturieren. Geregelter Tagesablauf, essen, wickeln, schlafen rausgehen usw. Es klingt nicht danach als könnte er das. Wenn er mit Kind raus geht muss er z.b. die Wickeltasche vollständig gepackt haben schafft er das? Das sind nur kleine Beispiele.

Du klingst ein bisschen wie seine Betreuerin aber das ist doch nicht dein Job. Das muss er doch selber auf die Kette kriegen. Wenn die Medikamente nicht helfen braucht er vielleicht andere oder die Dosis stimmt nicht vielleicht braucht er auch zusätzlich Therapie. Dr. Google allein wird das aber nicht richten da muss er schon den Hintern hoch bekommen.

Liebe hin oder her aber auf Dauer könnte ich mir so eine Partnerschaft nicht vorstellen. Das wäre mir zu anstrengend ganz ehrlich.

Du musst wirklich schauen auch auf dich und deine Kraft. Ich denke auch wenn du mit ihm ein Kind bekommst so wie er jetzt ist, dann wirst du vermutlich früher oder später alleinerziehend da stehen. Weil der Frust sich dann potenziert bis es nicht mehr geht.

4

Hallo du Sorgenvolle,

ich möchte dir hier aus der Sicht einer Betroffenen schreiben. Ich habe ADHS, bin erst seit einem halben Jahr diagnostiziert, habe also bis dahin mein Leben ohne jede Behandlung gemeistert. Da ich zusätzlich auch noch körperlich chronisch krank bin, bin ich seit ein paar Jahren in Rente. Mein LG geht normal arbeiten, ich hab einen Minijob und schmeiße zusätzlich den Haushalt.

Dein Mann zeigt die ganz typischen Symptome, von denen er viele gar nicht willentlich steuern kann. Ihm fehlt Dopamin, deshalb hat er keine Motivation für gar nix. Den Zustand kenne ich selber nur zu gut. Es ist sauschwer, sich dann trotzdem zu zwingen, die anliegenden Aufgaben anzugehen. Ich hab auch Tage, an denen da gar nix geht.

Was den Job angeht denke ich, dein Mann würde vermutlich schon gerne wieder arbeiten gehen, allerdings ist es für ihn noch schwerer als für Neurotypische, nach so langer Zeit da wieder einzusteigen. Zu der fehlenden Motivation kommt da noch die Angst, ob man das packt oder ob die eigene Verpeiltheit einem Steine in den Weg legt.

Das Leben mit ADHS kann manchmal echt hart sein, man muss jeden verdammten Tag gegen sich selber kämpfen. Und es ist wirklich frustrierend, wenn Dinge, die andere so quasi im Vorbeigehen erledigen, für einen selbst ein Riesenproblem darstellen.

Aber auch für den jeweiligen Partner ist es sicher nicht immer leicht, da braucht man einiges an Toleranz, Verständnis und Humor, um mit den Special Effects des Partners umzugehen. Ich finde es verständlich, dass du da an deine Grenzen stößt und dich allein gelassen fühlst.

Das Thema Kind würde ich erstmal hinten anstellen, zumindest so lange, bis er gewisse Skills entwickelt hat und sein Leben besser im Griff hat. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass du am Ende wirklich mit allem allein dastehst.

Was für Medis nimmt er denn? Medikinet oder Elvanse? Beides sind keine Zaubermittel, können allerdings helfen, den Alltag besser zu bewältigen. Hat er selbst denn den Eindruck, dass seine Medis überhaupt helfen? Wäre er bereit, es mal mit einem Coaching oder einer Therapie zu versuchen, um sich Skills anzueignen, mit denen er besser klarkommt?

9

Vielen Dank für deine Antwort, Schleiereule. Was du sagst, deckt sich ganz gut mit dem, was mein Mann mir auch immer wieder verständlich zu machen versucht - und wofür ich ja auch teilweise Verständnis aufbringe, aber eben aktuell an meine Grenzen stoße.

Was er glaube ich nicht versteht ist, dass auch neurotypische Personen (dazu zähle ich mich jetzt einfach mal) auch mit diesen Dingen ab und an strugglen. Ich habe auch oft Schwierigkeiten, nach einem langen Arbeitstag noch einkaufen zu gehen, den riesigen Wäschestapel anzugehen oder das Chaos in der Küche zu beseitigen. Wie oft denke ich mir morgens: ich will nicht aufstehen, ich melde mich einfach krank. Aber ich mache es. Weil ich "gesund" bin, kann ich das auch, er kann es nicht. Und währenddessen machen mir die meisten Dinge sogar Spaß.
Aber für mein Empfinden bemüht er sich auch gar nicht. Manchmal würde es schon reichen, wenn er einfach sagt: "ich sehe, dass die Wäsche sich stapelt, ich habe es versucht, aber es ging heute einfach nicht", und wir dann vielleicht gemeinsam überlegen, wie er zumindest einen kleinen Teil beitragen kann. Aber er sagt sowas nie. Er zieht sich dann einfach gern in sein Schneckenhaus zurück, sagt er braucht Ruhe, und ich soll beim Putzen nicht so laut sein - das macht mich dann natürlich rasend vor Wut.
Und dann fällt wieder ein Kommentar, und er nimmt sich das so zu Herzen, dass er sich noch weiter zurückzieht und noch weniger macht.
Und da auszubrechen und einen gemeinsamen Weg zu finden, das klappt irgendwie seit Jahren nicht.

Es ist nicht alles schlecht, um Gottes willen. Wir haben auch viele viele schöne Dinge erlebt miteinander die letzten Jahre, hatten supertolle Urlaube, tolle Gespräche, Abende mit Freunden und Familie und haben auch viel miteinander gelacht. Aber der Alltag sieht eben eher so aus wie oben beschrieben, und das kann so nicht weitergehen.

Er nimmt Elvanse. Gestartet ist er mit Medikinet, aber das "hoch- und runterfahren", wie er es nennt, ist für ihn nicht auszuhalten, deswegen der Wechsel auf Elvanse. Als er das neu genommen hat, so den ersten Monat oder so, war er auch wie ausgewechselt und ich war ganz euphorisch. Leider hat das nicht lang angehalten. Es wirkt schon, aber eben nicht mehr so gut. Er macht auch immer wieder Pausen mit der Einnahme und schaut, dass er mit der Dosis nicht zu hoch geht, damit es nicht zur Gewöhnung kommt. In den Pausenwochen kommt er aber tatsächlich meistens gar nicht aus dem Bett.
Er recherchiert wie gesagt sehr viel zu dem Thema und hat zeitweise irgendwelche Hustenblocker dazu genommen, die angeblich die Wirksamkeit verbessern, versucht sich mit Energy-Drinks tagsüber zu pushen (er sagt es pusht ihn nicht, sondern sorgt dafür dass er ein normales Aktivitätslevel halten kann) bzw. nimmt dann abends CBD-Öl, Baldrian oder sonstiges pflanzliches Zeug um schlafen zu können.
Aber wie gesagt, da unser Alltag so aussieht wie ich beschrieben habe, gehe ich nicht davon aus dass das alles die gewünschte Wirkung zeigt.

10

"Was er glaube ich nicht versteht ist, dass auch neurotypische Personen (dazu zähle ich mich jetzt einfach mal) auch mit diesen Dingen ab und an strugglen."

Ja, das stimmt, viele Symptome kennen auch Neurotypische, allerdings nicht in dieser teilweise extremen Ausprägung. Jeder vergisst mal was oder verlegt seine Schlüssel etc. Wenn sowas aber zum Dauerzustand wird, kann das sehr belastend sein. Vor allem, weil man manchmal an sich selber und seinem Verstand zweifelt.

"Aber für mein Empfinden bemüht er sich auch gar nicht."

Ich denke, das ist auch das, was dich am meisten stört, oder? Das Gefühl, dass er sich hängen lässt und nicht mal versucht, ernsthaft an seiner Situation zu arbeiten und auch für dich Verständnis zu haben

Ich habe so den Eindruck, dass dein Mann ziemlich viel "sekundären Krankheitsgewinn" aus seinem ADS zieht und sich ein Stück weit dahinter versteckt, kann das sein? Ist ja auf der einen Seite auch so schön bequem, er kann ja nix dafür, er ist ja krank. Leider bringt ihn diese Einstellung nicht weiter.

Wie stellt er sich denn die Zukunft vor? Selbst wenn sein Erspartes noch eine Zeit lang reicht, irgendwann wird er ja wieder arbeiten gehen müssen, wenn er nicht auf Bürgergeld angewiesen sein will. Und je länger er zuhause bleibt, desto schwerer wird es, wieder einzusteigen. Aber da ADHSler ja Meister im Prokrastinieren sind, schiebt er das gedanklich vermutlich weit von sich weg, hat ja noch Zeit.

Zu Elvanse kann ich nichts sagen, das hatte ich noch nicht. Aber dass die ersten Wochen so eine Art "Honeymoonphase" waren, war bei mir unter Medikinet genauso. Zum ersten Mal hab ich eine Ahnung davon bekommen, wie "normale" Menschen so denken und funktionieren. Mittlerweile ist die Wirkung auch schwächer, ich komme aber trotzdem gut zurecht.
Dein Mann sollte da mal mit seinem behandelnden Arzt drüber sprechen, wenn er das Gefühl hat, dass die Wirkung nicht mehr ausreichend ist.

Warum möchte er keine Therapie? Welche Vorbehalte hat er dagegen? Ich hab auch schon eine VT gemacht und so einige hilfreiche Dinge für mich mitnehmen können. Es gäbe auch noch die Möglichkeit der Ergotherapie, da werden z.B. Aufmerksamkeit und Konzentration trainiert.

"Er verschweigt ihr auch wie schlecht es ihm geht, weil er Angst hat sie verschreibt ihm dann keine Medikamente mehr, und dann würde er gar nichts mehr hinbekommen"

Das finde ich etwas bedenklich. Er sollte schon soviel Vertrauen in seine Ärztin haben, dass er ihr ehrlich sagt, wie es ihm geht. Wie soll sie ihm denn sonst adäquat helfen können? Und die Angst, dass er dann keine Medis mehr bekommt, braucht er nicht zu haben. Aber es gäbe ja evtl die Möglichkeit, an der Medikation etwas zu drehen, damit es ihm besser geht.

weiteren Kommentar laden
5

Langer Rede kurzer Sinn: Das nennt man prokrastinieren. Daran lässt sich arbeiten, aber wenn die Motivation dazu fehlt, bringt es halt nichts.

Er braucht, zusätzlich zu den Tabletten, einen Psychotherapeuten, der mit ihm eine Verhaltenstherapie macht.

11

Hey!

Ich habe selbst adhs und bin gerade mal wieder in der medikamentösen Einstellung.
Hm. Aus meiner Perspektive: Die Medikation passt nicht. Das muss er dringend mit der Ärztin besprechen, damit er besser eingestellt wird.

Als ich nun wieder mit der Medikation begonnen habe, wurde ich produktiv. Aber nicht lethargisch.

Ich würde auf gar keinen Fall so Kinder mit ihm bekommen. Bedingung wäre für mich, dass er ordentlich eingestellt ist und diese Verhaltenstherapie macht. So lernt er dann erst an sich zu arbeiten. Klar, wäre es auch gut, wenn du arbeiten gehst und er zu Hause bleibt. Aber wenn er selbst das nicht hinkriegt? Das Kind braucht Struktur: feste Essenszeiten, frische Windeln. Es will nicht mit ihm vor der Glotze hocken. Kriegt er das hin?
Willst du nach der Arbeit heimkommen und ein Schlachtfeld vorfinden? Hat er genug Kapazitäten, um das Kind auch zu erziehen? Wenn nein, dann wird das eine Katastrophe mit Vorhersage.

Ich würde an deiner Stelle Besserung voraussetzen. Andere Medikation, Verhaltenstherapie, um die neuen Kapazitäten auch zu nutzen.
Im worst case kriegt er das alles nicht gewuppt und du hast Haushalt, Kind und Vollzeitjob zu stemmen. Und wenn dieses Kind dann auch adhs hat, ist das alles auf deine Kosten.

Ist er vielleicht depressiv?

Liebe Grüße
Schoko

12

Habe gerade gelesen, dass er die Medikation immer wieder aussetzt. Wieso denn das? Da scheint einiges gehörig bei ihm schief zu laufen.
Ein bisschen darfst du schon von ihm erwarten. Lass dich nicht ausnutzen.
Aber so scheint er eine erfolgreiche Therapie mit seinem Verhalten selbst zu boykottieren.

"sagt er braucht Ruhe, und ich soll beim Putzen nicht so laut sein"
Das ist doch nicht sein ernst. Und er möchte Kinder und sich darum zu Hause kümmern? Das ist doch völlig widersprüchlich. Dann würde er putzen und die Lautstärke des Kindes kann er auch nicht abstellen oder mindern. Ein Kind ist laut. Dazu kommt noch der Schlafmangel, von dem er auch betroffen sein wird. Kinder verändern die Strukturen- und wer gar keine Strukturen hat, die ihm helfen, wird dann völlig zusammenbrechen.

Ganz ehrlich: Du solltest deinem Mann eine saftige Ansage machen, dass er sich nun helfen lassen muss. Ab zur Ärztin und Farbe bekennen. Andere Medikation, die hier scheint nicht zu helfen. Ggf prüfen lassen, ob er Depressionen hat oder ob die ggf eine Nebenwirkung von Elvanse sein können. Wenn er so mauert, wird es nicht besser. Dringend sollte er eine Therapie machen, um seine neuen Fähigkeiten nutzen zu können.
Würde seine Medikation helfen, ginge es ihm viel besser. Irgendwas stimmt bei ihm nicht.

Bearbeitet von schokofrosch
13

"sagt er braucht Ruhe, und ich soll beim Putzen nicht so laut sein"

Oh, wow, das hatte ich gar nicht gelesen. Das ist echt heftig und hat nichts mit ADS zu tun, sondern eher mit Egoismus und Bequemlichkeit. Bei dem Spruch wäre ich persönlich ja mal gepflegt ausgetickt. Das ist ne ausgewachsene Frechheit! Du wuppst euren Haushalt fast alleine, kümmerst dich um alles - selbstverständlich neben deinem Job und der Herr braucht Ruhe?

Ja, ADHS ist nicht unbedingt immer schön und kann einen teilweise einschränken, aber das ist echt kein Grund für so ein Verhalten.

Bearbeitet von Schleiereule
weiteren Kommentar laden
15

Dass er so viel recherchiert und sich selbst therapiert, würde mir erfahrungsgemäß Sorgen bereiten. Das hat mein Exfreund auch getan und war schnell in einer Abwärtsspirale aus Ritalin, Benzodiazepinen, Schlaftabletten, Cannabis, Koks etc. Den Mann, den ich kannte, gab es bald nicht mehr. Er verlor jeden Job, obwohl sehr gut qualifiziert, Freundschaften gingen in die Brüche, er schlief tagsüber und war nachts wach, wurde immer gereizter.
Ich wünsche Dir alles Gute und pass gut auf Dich auf

Bearbeitet von KeineguteErfahrungda