Partner mit ADHS

Hallo zusammen:)
ich bin aktuell mit einem neuen Jahre jüngeren Mann zusammen, bei dem höchstwahrscheinlich ADHS vorliegt. Unsere Beziehung begann leider als Affäre (er verheiratet, zwei Kinder, ich ebenfalls in einer festen Beziehung, zwei Kinder) aber es stellte sich relativ schnell raus, daß wir beide mehr für einander empfinden und es zwischen uns eigentlich sehr gut passt.

"Eigentlich" weil bei ihm höchstwahrscheinlich ADHS vorliegt (keine offizielle Diagnose, aber Therapie mit Medikinet zeigt gutes Ansprechen), und einiges an seinem Verhalten (schlechtes Konzentrieren/ Fokussieren und wahrscheinlich damit auch verbunden schlechtes Gedächtnis, Stimmungsschwankungen, etc) unsere Partnerschaft belastet und ich teilweise das Gefühl habe, ich sei ihm nicht wichtig genug 😞.

Gibt es hier Personen mit ähnlichen Erfahrungen und Lösungen (oder auch Mitglieder mit ADHS, die auch aus ihrer Perspektive berichten könnten)?

Vielen Dank schonmal 🙏

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Hi!

Bei uns bin ich die mit ADHS und naja... Es läuft halt so lala, wenn der Partner von mir erwartet, einfach normal zu sein, weil "alle anderen kriegen es ja auch hin" und so. -.-

Dein Partner kann nicht "normal" sein - bitte erwarte das nicht. Du bist nicht unwichtig für deinen Freund, sein Fokus ist nur gerade bei irgendwas anderem - darauf hat er keinen Einfluss. Er kann nicht steuern, was ihm gerade durch den Kopf schwirrt - du fährst wahrscheinlich gut damit, dich einfach wieder in sein Gedächtnis zu rufen und aufs eigentliche Thema zurückzukommen, wenn er abschweift.

Falls du im Gespräch das Gefühl hast, er ist gerade nicht da: sprich ihn direkt an und hol ihn zurück in den Moment. Falls ihr was zu organisieren habt: das ist vermutlich eher nicht so sein Ding und es kann sein, dass das für ihn viel Zeit frisst. Falls du merkst, Freund beschäftigt sich mit irgendwas ganz intensiv: lass ihn am besten einfach machen.

Für mich als ADHS-Mensch ist es unglaublich stressig, wenn es mal gelingt, bei irgendwas ganz konzentriert zu sein und es unterbricht mich jemand - Fokus ist dann weg, es ist unklar, wann er wiederkommt und im schlimmsten Fall bringe ich die Sache, mit der ich befasst war, nie zu Ende. Das frustriert ungemein und klar bin ich dann nicht erfreut darüber - auch, wenn's um was Nettes geht wie "Willst du auch einen Kaffee?". - Nein, ich will meine Ruhe und nicht unterbrochen werden.

Tipp an ihn: er soll sich wichtige Daten aufschreiben, damit er sie nicht verpeilt oder auch Erinnerungen am Handy stellen. Ansonsten ist wohl viel Geduld gefragt, weil du wahrscheinlich Informationen einfach mehrmals erzählen musst.

Es ist auch nicht immer so, dass man Informationen überhaupt nicht mitschneidet - manchmal schon, ja - meist kommt schon was an, aber es verschwimmt einfach mit allen anderen Reizen aus der Situation.

Das kann dann so aussehen:

Du hast mir erzählt, dass du vom 12.-19. März den Urlaub fährst und dass du nach Madrid reisen willst.

Bei mir bleibt hängen: Maori fährt bald in den Urlaub nach Madrid. Das hat sie mir am Abend erzählt, jedenfalls war es dunkel, die Straßenlaternen waren an und wir saßen auf einer Parkbank auf der Mittelinsel von der Hauptstraße und haben Kaffee getrunken. Es war kühl. Ich habe geraucht und es ist ein Krankenwagen mit Blaulicht vorbeigefahren. Das hat geblinkt und hat mich irgendwie gestört. Ein Auto hatte voll laut Musik an und wartete an der Ampel. Das Lied kannte ich aber nicht. Ich war auch voll müde, weil ich die vorherige Nacht nicht gut schlafen konnte. Maori war auch müde. -- Wenn ich dich am nächsten Tag frage: "Wann genau fährst du eigentlich nach Madrid?", fragst du dich wahrscheinlich: "Hä? Hat plastizine mir überhaupt zugehört?!" ... Ja, habe ich - und gleichzeitig habe ich den ganzen anderen Kram verarbeitet, der während unseres Gesprächs passiert ist. Das Datum hat es dabei einfach nicht ins Bewusstsein geschafft. Das ist keine Absicht - ich konnte die ganzen anderen Sachen nicht ausblenden.

Weil diese Unfähigkeit, solche äußeren Reize auszublenden, für mich Normalität ist, kann ich mir auch nicht vorstellen, wie es ist, das nicht zu können bzw. wie es ist, willentlich auszuwählen, auf welche information ich gerade eingehen will. Für dich sieht das dann vielleicht wie Desinteresse aus, weil es für dich normal ist, deinen Fokus zu steuern.

Vielleicht macht es das Beispiel ein bisschen erlebbar, wie sich eine normale Situation für ADHS-Menschen anfühlen kann.^^

Ich glaube jedenfalls nicht, dass du nicht wichtig bist für deinen Freund. Er hat sich klar zu dir bekannt und steht ja auch zu dir. Auch, wenn der Fokus mal woanders liegst, ändert das erstmal nichts an seiner grundsätzlichen Einstellung zu dir bzw. seinen Gefühlen für dich. Hoffentlich macht dir das ein bisschen Mut für eure gemeinsame Zukunft. :)

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Hallo Plastizine.
Vielen lieben und herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort. Vor allem dafür daß du anhand eines Beispiels das ganze verdeutlicht hast.
Im Moment ist bei uns unter anderem wegen einer ähnlichen Situation der Wurm drin, ich erzähle kurz:
ich bin für sechs Wochen verreist, er sollte eigentlich wissen,wann ich wieder da bin und hat am ersten Tag, an dem wir uns theoretisch wiedersehen könnten einen Dienst bekommen und wenn ich nichts gesagt hätte, dann hätte er das überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt. Ich war natürlich total traurig und enttäuscht.

Klingt das irgendwie bekannt für dich? Wie sollte ich besser mit solchen Situationen umgehen? Was erwartest Du als ADHS- Mensch von deinem Gegenüber?

Liebe Grüße

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Hey! Zum konkreten Fall: Ja, das hätte mir auch genauso passieren können... Sechs Wochen (!) ist eine so unfassbar lange Zeit, dass ich mir diese gar nicht vorstellen kann. In diesem Sinne ist es sehr wahrscheinlich, dass ich das Datum auch nicht auf dem Schirm gehabt hätte - soweit plane ich einfach nicht. Obwohl ich nicht abschätzen kann, ob das ADHS-typisch ist oder nicht. Zeitblindheit wird manchmal als Symptom aufgeführt, aber ich kann mir darunter nur wenig vorstellen und frage mich, wie das Gegenteil "Zeitsicht" dann aussehen sollte?

Wenn ich an der Stelle von deinem Partner gewesen wäre, könnte ich deine Reaktion nicht gut nachvollziehen. Aus meiner Sicht würde sich alles so darstellen, dass ich mir keines Fehlers bewusst war - bis eben dein Einwand kommt. Dann würde ich vielleicht auch eingestehen, dass ich das nicht bedacht habe und dass das jetzt ungünstig ist. Ich würde mir dann einfach wünschen, dass wir einen gemeinsamen Umgang damit finden, zusammen nach einer Lösung dafür suchen. Anstelle von "Das enttäuscht mich." könnte ich wesentlich besser mit "OK, das ist jetzt suboptimal, weil... Was machen wir jetzt?" umgehen.

Es ist wahrscheinlich, dass dein Partner im Laufe seines Lebens nicht zum ersten Mal jemanden enttäuscht, weil er einzelne Aspekte in einer Situation nicht bedacht hat. Aus Sicht als wahrscheinlich Betroffener stellt sich das vielleicht so dar, dass er jemanden enttäuscht hat, allein dadurch, dass er einfach er ist. Das wirkt sich langfristig auf die Psyche aus.

Als Idee, wie ihr sowas wie jetzt den Tag deiner Rückkehr in Zukunft vermeiden könnt: Habt ihr einen gemeinsamen Onlinekalender, in den er reinschaut? Oder hängt gut sichtbar einer (mindestens in seinem täglichen Umfeld) an der Wand? - Dort könntest du solche Eckpunkte wie "Maori auf Reisen" eintragen und den Tag deiner Rückkehr ganz fett und bunt als "Ab HEUTE ist Maori zurück!" markieren. Diese Markierung soll ins Auge springen, das darf "stressen". Es entsteht ein äußerer Reiz und es ist wahrscheinlich, dass dein Freund auf diesen anspringt - so bleibt es im Kopf. Alternativ könntest du ihn auch auffordern, solche Eckdaten in seinen Arbeitskalender als private Einträge zu schreiben - dann sieht er es bei der Schichtplanung.

Vielleicht mal als allgemeine Frage an dich: Wie weit hast du dich mit den Symptomen befasst? Die Grundsymptome (Unaufmerksamkeit/Impulsivität/Hyperaktivität) sind relativ abstrakt und man kann sich vielleicht nicht gut vorstellen, welche "kleineren" Symptome im Alltag deshalb auftreten. 🤔

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Ey, schaust du Google....

finde ich eine blöde Antwort, aber gerade zu 'ADHS und Beziehungsprobleme' gibt es reichlich:
–Hintergründe für Dich und ihn zum Verstehen, wie ein ADHS-Hirn anders tickt, wichtig: das lohnt zu lesen für dich und ihn,
- Tipps für den Alltag, wie er sich sortiert
- Tipps für Dich, dass du ihm Bereiche für 'sein Chaos' lässt,
- Berichte aus Sicht von ADHS-lern,
- Berichte aus Perpektive von Partner*innen und wie sie von völlig genervt zu einem sinnvollen Umgang miteinander gefunden haben.

Wenn einer von euch nicht lesen mag (Grüße gehen an dieser Stelle an das ADHS-Hirn deines Freundes) bieten YouTube aber auch Audiobücher dieselbe Fülle von Informationen.

Für Dich: er tut Dinge nicht, um dich zu nerven!
Für Dich: Es ist manchmal deutlich einfacher, sich seiner Logik anzupassen. zB dass Gläser in der Schrank neben die Spülmaschine gehören (selbst wenn die Gläser sich im Vitrinenschrank hübsch machen würden).
- Die Ablage im Flur ist kein Müllhaufen sondern eine lebende Todo-Liste. Solltest du die jemals aufräumen, mache zumindest vorher ein Foto, besser aber: Finger weg!

Olivander

Ps: ich schaue daheim mal in den Bücherschrank. Vielleicht findet sich da noch eine Empfehlung für euch.

Bearbeitet von Olivander
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Made my day 😂.
Ich liebe meine To-do-Liste für die ich ein extra Zimmer habe

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Sicher dass es nur am ADHS liegt ? Frauen betrügen, Stimmungsschwankungen und das Gefühl geben dass du nicht wichtig bist ... würde ich jetzt nicht primär dem ADHS zuordnen. Ich tippe darauf, dass das sein Charakter ist und du jetzt schon anfängst unglücklich zu werden.
Ich habe auch ADHS und auch ein paar Problemchen mit Konzentration aber keine Beziehungsprobleme.

Bearbeitet von Samara
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ADHS ist eine Spektrumsstörung, es gibt nicht das eine ADHS, deins ist mit dem eines anderen nicht vergleichbar.

Gilt auch für die TE.

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Ah ehrlich ? Ist mir schon klar aber man kann trotzdem nicht jeden unschönen Charakterzug jetzt aufs ADHS schieben.

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Huhu,
ich habe ADHS. Mich wundert es sehr, dass er Medikamente ohne Diagnose nimmt. Was sind das für welche?
Wie schon geschrieben, ist ADHS verschieden.
Ich neige zB. Zu Wutausbrüchen, bin sehr unkonzentriert und auch chaotisch. Ich führe penibel tausend Listen und habe für jeden Gegenstand einen festen Platz, sonst wäre eben Chaos. Außer in meinem Zimmer (jeder hat neben dem Schlafzimmer sein eigenes Zimmer, wo man eben machen kann, was man möchte) da herrscht pure Anarchie. Ist halt meins und ich mag manchmal auch Chaos.
Ich fand ADHS in der Pubertät und frühes Erwachsenenalter sehr schlimm. Momentan habe ich mich gut damit arrangiert und mein Mann auch.

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Danke für deine Antwort, er wird in der Tat mit Medikinet behandelt, 20 mg ret. Es ist klinisch betrachtet deutlich besser geworden. Aber ich versuche mich natürlich trotzdem mit den Eigenheiten zu arrangieren,da er wirklich sonst ein liebenswerter Mann/Mensch ist und ich ihn und unsere Beziehung liebe.

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Gern.
Du musst für dich entscheiden, kannst du bis an den Rest deines Lebens mit so jemanden leben? Mein Mann hat sich dafür entschieden und ich bin sehr dankbar, denn er ist eher der ruhigere und ausgeglichene Typ. Also die perfekte Ergänzung zu meiner Persönlichkeit.
Vielleicht könnte dein Partner auch eine Therapie machen, wo mit ihm konkrete Lösungen und Strategien für den Alltag ausgearbeitet werden.

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